Feldversuche

Im Salzkammergut,
da kann man gut
mutig sein.

Im Salzkammergut,
da kann man gut
mutig sein.

Lukas Nagl war zuletzt als Neunjähriger in Waidhofen an der Ybbs. Diesmal ist er vom Traunsee gekommen um sich mit den Mostviertler Kochgrößen auszutauschen. Geboren am Attersee, besuchte er die Tourismusschule Bad Ischl, obwohl er lieber gleich eine Kochlehre gemacht hätte. Mit 24 Jahren brachte er es schon zum Küchenchef im Bootshaus. Danach konnte er im Steirereck seinen „kulinarischen Sinn schärfen“. Und wenn die Dinge, die man ausprobiert dann in solch einem Haus auf die Karte kommen, baut man auch ordentlich Selbstvertrauen auf. Außerdem ein paar Grundsätze:

Erstens: Mit dem arbeiten, was man vorfindet. Sich aus der Erinnerung entwickeln und internationale Inspiration nutzen.
Wieder ganz klein werden und den Zauber runterfahren, das musste Nagl allerdings in Sansibar, der Insel vor Tansania. Gemeinsam mit seiner Partnerin sollte er ein kleines Hotel direkt am indischen Ozean für einen Investor starten. Später sollte es mit dem Konzept von Einheimischen geführt werden. Der Beginn war hart. „Alles, was ich bestellt hab, ist vergammelt“, erinnert er sich an die Anfänge des Unterfangens zurück. Also Planänderung: Was gibt es Frisches, Gutes, Saisonales? Wir machen Carte blanche! So eine Zeit prägt natürlich – sozial, menschlich und kochtechnisch. Damals lernte er: Es ist wichtig, wo Wertschätzung und -schöpfung entstehen. 
Zweitens: Wir müssen wertschätzen, was es gibt, aber offen für andere Kulturen sein und dafür, dass wir selbst noch lernen müssen. Nagl wandelte das Bootshaus in Traunkirchen am Traunsee von einer Berner-Würstel-Bude zu einem kreativen Ort, wo die Exotik aus heimischen Produkten herausgekitzelt wird. Aber allzu fancy muss es auch nicht sein. „Geleewürferl und Chichi hätten wir sowieso nicht geschafft“, sagt Nagl. Wie in Ostafrika kauft er als Chef im Bootshaus den Fischern meist ihren ganzen Fang des Tages ab. An allen sieben Wochentagen kommt eine frische Lieferung vom Attersee oder Traunsee. Und Nagl serviert nicht nur die schönen Reinanken mit 250 Gramm zu Petersilkartofferln.

Drittens: Jedes Produkt hat seine Zubereitung.
Für jeden Fisch hat er einen Fahrplan: Die Reinanke wird Matjes, bei großen Lieferungen auch frisch als Sashimi verkauft. Aus Rotaugen macht Nagel „Sardellen“. Den Hecht gibt es in Form von Hechtnockerln. Perlfisch im Burger. Jedenfalls werden 100 Prozent vom Fisch verarbeitet: Die Karkassen, also das Gerippe, kommt in die Suppe, aus den Schwimmblasen bereitet Nagl Kutteln, Fischleber geröstet Yakitori-Spieß steht auch gelegentlich auf der Tageskarte. Außerdem bereitet Nagl Fischsoße zu, wie es ihm eine asiatische Köchin auf Sansibar gezeigt hat. Die Fischsoße war die Initialzündung. Mittlerweile gibt es unter dem Label „Luvi Fermente“, das er gemeinsam mit dem Lebensmitteltechnologen Viktor Gruber auch Sojasoße und Misopaste. Es geht für ihn in der Küche auch nicht mehr „klassisch um Fleisch in der Mitte und alles rundherum“.
„Wissen zu teilen ist ein sozialer Auftrag. Ich will es weitergeben an die Lehrlinge. Denn selbst in den besten Restaurants wissen sie teilweise nicht, wie man einen Fisch zerlegt“, bedauert Nagl. Er selbst hatte das Glück den Grätenschnitt als 14-Jähriger am Attersee vom Fischer gezeigt zu bekommen. Egal ob Produzent, Veredler, Koch – man muss sich fokussieren und nicht die ganze Palette anbieten wollen. Wie das geht?Indem man viele Aufgaben abgibt. „Wir sourcen vieles aus, zum Beispiel für das Frühstücksbuffet“, gibt Nagl zu. Eine Gemüsebäuerin legt ihm Paprika nach seinem Rezept ein. Im Jänner setzt er sich mit ihr zusammen und überlegt: Was bauen wir an? Er gibt aber zu: „Am Anfang hab ich nur Fische und Schafkäsebauer gehabt. Ich habe auch viel bei Transgourmet eingekauft.“

 

„Du bist voller Spirit.
Das darf man nie verlieren.
Aber: wir sind auch nicht von 0 auf 100.
Das wäre keine natürliche Entwicklung.“

Viertens: Globalisierung nicht als Gegner betrachten.
Österreich war schon immer eine Integrationsküche, früher war die Einflusssphäre nicht so weit weg. Wichtig ist: Bei der regionalen Esskultur ins Detail zu gehen: „Wenn die Käser einen Käse mit Pfeffer, einen mit Chili und einen mit Schnittlauch machen, reicht das nicht aus“, sagt Nagl. In Frankreich habe jede Region seinen eigenen Käse.
Fünftens: Wenn Regionalität falsch verstanden wird, engt sie ein. Im internationalen Kontext eröffnet sie Möglichkeiten. 
Überhaupt werde Regionalität oft dogmatisch gesehen, bemängelt Nagl. Generell findet er: Was hier wächst, hat Bestand. Auch er verwendet Pfeffer, Schokolade und Zitronen. Aber mit kleinen Ideen kann man auch ein Stück unabhängiger von Exotischem werden, etwa wenn man beim Schnitzl die Zitrone weglässt und es stattdessen mit Verjus besprüht. Fest steht: kleinkariertes Denken ist nicht angebracht. Denn „Chinesische und Innviertler Knödel unterscheiden sich nur durch die Wassertemperatur“, lacht er.
„Als Koch hat man die Möglichkeit, in die Köpfe der Leute zu kommen.“ 
Für Lukas Nagl ist das die wichtigste Botschaft von allen: Im Kopf offen bleiben, aber schauen, was man in der näheren Umgebung findet und wie man es zeitgemäß interpretieren kann, sodass möglichst alles verarbeitet und wertgeschätzt wird. Dazu müsse man öfter mal den Gast anstacheln.