Feldversuche

Heute macht die Milch, was sie will. „Der Vorführeffekt“, seufzt Theresia Lucia Palmetzhofer, während sie mit einem Spachtel energisch knusprig-braune Scheiben von einer Metallplatte kratzt.

Es duftet nach Karamell, süßlich und salzig und überhaupt nicht verbrannt, obwohl genau das gerade geschieht. „Die Idee mit der verbrannten Milchhaut habe ich aus Dänemark mitgebracht. Dort haben wir daraus ein Mini-Cornetto gemacht. Hier passt sie hervorragend zu Dinkelmilchreis mit Kirschen und Molkeeis.“ Anlass für dieses ungewöhnliche Dessert ist der an diesem Nachmittag stattfindende Mostviertler Feldversuch, eine seit 2019 bestehende Eventreihe, welche Gastronom:innen, Produzent:innen und deren regionale Spezialitäten sichtbar macht und dabei kulinarische Grenzerfahrungen garantiert. Theresia ist Gründungsmitglied und nach wie vor mit Elan dabei.

Dass ihre Vita nicht nur das Kopenhagener AOC und das in San Sebastián gelegene Arzak beinhaltet, sondern sie auch mehrere Jahre lang Konstantin Filippous Souschefin war, ist beachtlich und trotzdem nichts, womit sie hausieren geht. Lieber lässt die bescheiden auftretende 42-Jährige ihre Gerichte für sich sprechen. Kohlrabi-Ravioli mit Ricotta, Steinpilzen und Haselnüssen, Saibling mit Kraut, Limette und Chili oder Mangalitza-Schwein mit Sellerie und Birne.
Abgesehen davon hat sie ihren Nachnamen auf geniale Art zum Alleinstellungsmerkmal gemacht. Gasthaus zur Palme heißt das in Neuhofen an der Ybbs gelegene Restaurant. Dem Namen entsprechend zieren Palmen in verschiedenster Form den mit hölzerner Schank und blattgrünem Kachelofen ausgestatteten Gastraum, außerdem stehen echte Exemplare im schattigen Hof.

Das gute Wetter kann die schmale, Brille tragende Köchin, deren blonde Haare zu einem lockeren Knoten geschlungen sind, heute leider nicht genießen, stattdessen steht sie schon am frühen Vormittag in der Küche, vor sich eine halbvolle Tasse schwarzen Kaffee, gebrüht aus den Bohnen der Neumarkter Rösterei Cult Caffè. Mindestens zweigeteilt ist ihre Aufmerksamkeit, hier die Milchhaut, da das mit Reservierungsanfragen klingelnde Telefon. Dann läutet auch noch das Glöckchen im Nebenraum: Eine Gruppe Einheimischer hätte gerne Eis auf die Hand. Das gibt es in elf Sorten in hausgemachter Form, direkt aus der Kühlvitrine. Marille ist leider aus. Italienisches Flair bringen zudem die in Sichtweite aufgestapelten Pizzakartons. „Schon bei meiner Mama gab es nicht nur Schweinsbraten, sondern auch Pizza Margherita. Das beizubehalten war mir wichtig.“ Stark sei ihre Mutter gewesen, genau wie die Großmutter, deren Spezialität Dukatenbuchteln waren. Kein Wunder, dass Theresia die Grande Dame der Wirthausküche Lisl Wagner-Bacher als Vorbild nennt. Dazu passt das auf dem Weg zum Gastgarten hängende Schild: Men to the left, because women are always right.“

Aufgewachsen ist sie als jüngstes von sechs Kindern, gewissermaßen mit einem Bein in der elterlichen Küche stehend. Kochen gelernt habe sie von ihrer Mutter, aber natürlich auch in den Jahren kulinarischer Wanderschaft. Nach Abschluss der Tourismusschule St. Pölten ging sie ins inzwischen geschlossene Wiener Triest, dann an den Arlberg, sechs Jahre zu Konstantin Filippou („der hat mich am meisten geprägt“) und, wie eingangs erwähnt, nach Dänemark, Spanien und Wien. An die Pastaschulung in Bologna und Rom erinnert noch heute eine in der Küche stehende Nudelmaschine. 2016 kehrte Theresia, wie es immer ihr Plan gewesen sei, in ihr Heimatdorf zurück, in jenes rund fünfhundert Jahre alte Wirtshaus, das bereits ein Vorleben als Färberei, Fahrradgeschäft, Post, Gemeindeamt, Bäckerei, Greißlerei und Kaffeehaus führte.
Während die Köchin Milchhaut schabend erzählt, bereitet einer ihrer Köche das Personalessen zu, zweierlei Pilzpasta mit Paradeiser. Ihr eigener Teller bleibt unberührt, keine Zeit. Und das, obwohl ihr Team eine große Stütze für sie ist. Zwischen fünfzehn und achtzehn sind die meisten, nur der einzige ausgelernte Koch ist sechsundzwanzig. Die Lehrlingsausbildung ist für dessen Chefin ein Herzensthema, wenn auch nicht ganz ohne Eigennutz. „Zwanzig, fünfundzwanzig Jahre muss ich sicher noch arbeiten. Wenn ich niemanden ausbilde, stehe ich irgendwann allein da.“ Ihren Schützlingen will sie die Schönheit der Gastronomie vermitteln, ebenso jene des Weins, und dass beides eine Lebenseinstellung ist. „Ob mir das gelingt, kann ich erst in ein paar Jahren wissen.“ Was schon mal für sie aus Ausbildende spricht, ist, dass sie nie aktiv auf Suche gehen musste, die Bewerbungen kamen immer von selbst.

 

Eine Sache, die sie ihren Schützlingen ebenfalls mitgeben will, ist der Fokus auf regionale Produkte.

Der Spargel kommt aus Haag, das Rindfleisch aus dem Ybbstal, der Schafskäse von den Milchmäderln in Wallsee, der Emmerreis von den Farthofers in Öhling und die Eier von „Tante Mitzi und Tante Erika“. Sogar Bio-Shiitake-Pilze aus St. Leonhard am Walde gibt es inzwischen, da habe sich in den letzten Jahren viel getan. „Wobei die beste Schwammerlquelle nach wie vor mein Papa ist.“ Auf ihre Produzent:innen ist die Neuhofenerin so stolz, dass sie sie auf der Website ihres Gasthauses namentlich erwähnt. Genau wie in Sachen Lehrlinge gilt: Nur gemeinsam kann Gutes entstehen. Der Erfolg gibt ihr Recht: Im Gault & Millau kommt sie auf drei Hauben und 2023 wurde sie von Rolling Pin zum Female Chef of the year gekürt.

Wenn sie mal Zeit hat, auf Reisen zu gehen, dann gerne zu geschätzten Kolleg:innen. „Ich liebe die fortgeschrittene Wirtshausküche des Bachlerhofs, aber auch das, was Philip Rachinger im Mühltalhof macht, oder Jakob Zeller und Ethel Horn früher im Klösterle.“ Bei Letzteren fasziniert sie vor allem die Reduktion, der Fokus aufs Wesentliche. „Geradlinig, ohne Schnickschnack“ nennt Theresia denn auch ihren Stil. „Ich will Produkte nicht verschandeln. Eine Karotte ist bei mir eine Karotte.“ Niemals zu laut seien ihre Gerichte, genau wie sie selbst. Wenn sie nicht selbst am Herd steht, kann sie sich für Hausmannskost begeistern, für Scheiterhaufen oder „Mamas Rindsschnitzel mit Spiralnudeln“. Stichwort Mama: Die kümmert sich bis heute um Eis, Blumen und Wäsche. So gerne sie sich Appetit in der ganzen Welt geholt hat, so satt macht Theresia ihre Heimatregion. „Ich bin hier total happy und will nicht mehr weg. Mein Wirtshaus ist mein Baby, noch lange nicht ausgewachsen.“ Kochen ist für sie ein stetiger Prozess. So wie die Sache mit der Milchhaut. Nach mehreren Anläufen und dem Austausch von Roh- gegen Ziegen- gegen pasteurisierte Biokuhmilch hat diese endlich die gewünschte Form und Textur angenommen.