Feldversuche

Einen Sinn für Ironie kann diesem Koch wirklich niemand absprechen: Allein, wie oft die Speisekarte von Hubert Kalteis vor lauter Retro mit den Augen zwinkert! Da reihen sich Hirtenspieß und Toast Hawaii aneinander, zum Grießkoch als Dessert gibt’s explizit „Gaugau“, und auf der Getränkekarte warten Schartner Bombe, Himbeer-Keli und Lambrusco.

Den Unterschied zu einer tatsächlich im Jahre Schnee steckengebliebenen Karte machen im Gasthof Kalteis im Zentrum von Kirchberg an der Pielach die Details: Beim Hirtenspieß sind es die Faktoren Misobutter und Freilandschwein, beim Toast Hawaii lauten sie Sauerteigbrot, geräucherter Schafkäse, rosa Beiried und Ananas-Kirschencurry.

Altbekanntes auf diese Weise umzudeuten und die Speisekarte oft zu variieren, gehört ganz klar zur Linie des Herzblut-Mostviertlers Hubert Kalteis, der den Betrieb gemeinsam mit seiner Frau Sonja führt. Die beiden wissen: Damit lassen sich verschiedene Generationen an Gästen ansprechen, und auch verschiedene Schichten. Wie es sich für einen Gasthof gehört, sitzen hier örtliche Vereinsmitglieder neben Feinschmecker:innen, die von weiter weg angereist sind.
Ein Beispiel für dieses Bewusstsein ist die Idee mit den Sommermontagen, wenn es heißt: Sommer wie früher – Kalteis-Klassiker wiederbelebt. Als Vorlage diente die Speisekarte von Kalteis‘ Mutter Theresia. Serviert werden diese Klassiker in Form von Kleinportionen, die man hier nach spanischem Vorbild Tapas nennt. Wie gut das Geschäft an diesen Tagen laufen würde, an denen sonst so gut wie alle anderen Betriebe in der Umgebung geschlossen haben, hätten Sonja und Hubert Kalteis nie erwartet. Ihr Gasthof werde für die Mostviertler Tapas zum Einheitspreis von je fünf Euro regelrecht gestürmt, erzählen die beiden. Ein paar Beispiele aus der Karte: Schinkenrolle mit Salzgurke und Rübenvielfalt. Tafelspitzsulz mit Dirndlessig und Dirndlzwiebel. Gebackene Pielachtaler Champignons (die größte Pilzzucht Österreichs liegt in der Nachbarschaft) mit Sauce Tartare. Gefüllte Wachteleier mit – Retrofreude! – Russischem Salat und Pommes.

Produzent:innen wie die Fleischerei Moser, den Knofihof Gruber und die Kräuterexpertin Martina Fischl schreibt Hubert Kalteis stets dazu; ohne sie könnte er schließlich nicht so „glokal“ kochen. Heißt: mit Ideen und Techniken aus aller Welt, aber Zutaten aus dem östlichen Mostviertel, besonders dem Pielachtal. Zum geschmorten Kalbsbackerl gesellt sich schon einmal ein Karottenkimchi, ein Dirndl-Feuerfleck wird mit Pulled Lamb belegt. Maulbeeren sammelt der Koch mit Netzen selbst auf, ähnlich wie bei der Olivenernte, und verarbeitet die stark färbenden süßen Früchte sommers zu Maulbeernocken mit gestocktem Rahm und Hollerkapern. Auch für Wildnachschub sorgt er als Jäger selbst: Auf der Lieferantenliste liest man „Senior & Junior samt Kirchberger Jagdkameraden“. Was es hier zu jagen gibt? „Rehe, Hirsche, Gämsen, Wildschweinwechselwild. Und Hasen haben wir auch. Nur Fasane werden hier nicht bejagt, davon gibt es zu wenige.“