Feldversuche

Wie so viele Erfolgsgeschichten ist auch diese eine über die Liebe. Schon seit ihrer Jugend sind Bernadette und Peter Haselberger ein Paar, seit zwölf Jahren verheiratet. Gemeinsam betreiben sie eine Landwirtschaft in St. Valentin, mit Ackerbau und rund dreihundert Mastschweinen.

Drei Kinder haben sie, und gewissermaßen ein viertes. Vorhang auf für die niederösterreichische Grande Dame, eine kapriziöse Diva, die noch immer zu wenig Beachtung erfährt: die Mostbirne. Rund hundert Sorten gibt es im größten zusammenhängenden Birnbaumgebiet Europas auf Streuobstwiesen. Um die, findet Bernadette, eine sympathische Frau mit schulterlangen, kastanienbraunen Haaren, müsste einen eigentlich die ganze Welt beneiden. Dabei geht niemand mit der spröden Schönen so um wie sie und ihr Ehemann, nämlich behutsam, fast ohne Eingriff, weil man einer wie ihr ihren Willen lassen muss.

Kaum gegossen werden die Bäume, nur ein Baumschnitt lenkt sie in die richtige Bahn. Ihre Früchte werden nicht gepflückt, sondern erst in Form von Fallobst aufgesammelt. „Tüfteln tun wir nicht, sondern der Natur ihren Lauf lassen.“ Bis zu zwanzig Meter hoch sind die teilweise über hundert Jahre alten Bäume.

Man begegnet ihnen an Wegen und auf Wiesen, zudem an den Grenzen des Haselberger’schen Grundstücks. Dass die Haselbergers den wohl spannendsten Birnenmost Niederösterreichs machen, kam so: In den 1920er-Jahren ersteigerten Peters Vorfahren einen Vierkanthof, der aufgrund des 1860 erfolgten Westbahnbaus abgetragen und an anderer Stelle komplett wieder aufgebaut wurde. 2015 übernahm Peter die Birnenmostherstellung von seinem Großvater, nicht ohne seine Expertise in Form einer Ausbildung zum Most- und Edelbrandsommelier zu vertiefen, wobei es da sehr technisch beziehungsweise konventionell zugegangen sei. Er selbst hingegen entschied sich für so wenig Zutun wie nötig, etwa für den Verzicht auf Klärung und Schönung.

„2019 haben wir bei der Falstaff Most Trophy in drei von fünf Kategorien gewonnen. Da wussten wir: Wir sind auf dem richtigen Weg“, so die 36-jährige Mostproduzentin, die zwischen zwei Schwangerschaften mal eben ein Produktmarketing- und Projektmanagementstudium absolvierte.

Ein Weg, der nicht ohne Widerstand auskommt. Da ist zunächst einmal die Koketterie der Mostbirne selbst. Sie wächst auf Schotter- und Lehmböden mit sandigem Anteil. Schenkt erst nach zwanzig Jahren die ersten Früchte. Auf bis zu 365 Metern Höhe stehen die Haselberger‘schen Exemplare, auf 500 Metern jene am nördlichsten Rand des Mostviertels gelegenen Partnerbetriebe, von denen sie ebenfalls Früchte beziehen. Das Fallobst wird von Hand aufgesammelt, und zwar täglich, weil nur so gewährleistet werden kann, dass die Früchte so frisch wie möglich verarbeitet werden.

Nach seiner Verarbeitung reift der Most ein Jahr lang in Stahl- und Barriquefässern und ein weiteres in der Flasche, weil sich Eile und Perfektion nun mal schlecht vertragen. Das Ergebnis ist ungewohnt herb, mit aufreizender Säure, animierenden Gerbstoffen und maximal 7,5 Prozent Alkohol. Ein erwachsenes, charaktervolles Getränk, das solo eine genauso gute Figur macht wie als Essensbegleiter.

Den renommierten Gourmetjournalisten Jürgen Schmücking erinnern die Haselberger-Moste „an große Rieslinge aus der Wachau“. Dem gegenüber steht die Skepsis, die dem Paar vonseiten klassischer Produzent:innen und dem einen oder der anderen Trinker:in entgegenschlägt, nach deren Meinung so ein Birnenmost süß und spritzig sein soll. Zum Glück gibt es Messen wie die Eisenstädter Karakterre oder die Raw in Kopenhagen. Dort treffen sie Gleichgesinnte wie das biodynamische Weingut Fidesser, den deutschen Streuobstwiesenkönig Jörg Geiger, den in der Normandie ansässigen Birnenpapst Éric Bordelet oder den Hollenburger Winzer Christoph Hoch, der für seine wilden Experimente bekannt ist.

Auch die Haselbergers trauen sich was, zum Beispiel bei den Mostviertler Feldversuchen. Im ersten Jahr überließen sie ihren Most in einem Fass komplett sich selbst. Im zweiten kreierten sie einen Pet Nat und im dritten versuchten sie sich an einer alkoholfreien Version, die leider zu gären begann, dadurch aber „eine schöne Spritzigkeit bekam“.

Heuer wollen sie die Mostbirne mit Wachs überziehen und reifen lassen. „Für viele in unserer Region stellt die Mostbirne nichts Besonderes dar, sie ist einfach da. Bei uns hat es irgendwann Klick gemacht, und plötzlich sahen wir, was für einen Schatz wir da vor uns haben.“ In den 1970ern umfasste der Bestand im gesamten Mostviertel rund eine Million Bäume, jetzt sind es nur noch 300 000, wobei die Zahl durch Neupflanzungen wieder steigt. Was Bernadette zufolge schon allein deswegen Sinn ergibt, weil sie CO2 binden und gut sind für die Artenvielfalt.

Bis zu 160 Jahre alt ist der Baumbestand des Paars. Manche Sorten sind roh essbar und verführerisch-süß, andere aufgrund ihrer Säure und dem hinterlassenen Mundgefühl zum Verzehr ungeeignet. Ohne den anderen rund vierzehn Sorten zu nahe treten zu wollen:

Besonders stolz sind die Haselbergers auf ihre Grüne Pichlbirne, der sie in Form einer Einzelabfüllung die ganz große Bühne bereiten. „Genau wie beim Wein schmeckt man auch bei der Mostbirne ein Terroir, beeinflusst von Standort und Bodenzusammensetzung.“ Nicht umsonst nennt Bernadette diese Grüne Pichlbirne ihren „Kraftplatz“. „Wichtige Telefonate führen wir gerne in ihrem Schatten. Oft frage ich mich, was dieser Baum wohl schon alles erlebt hat. Auf die Gefahr hin, dass das ein bisschen zu spirituell klingt: Er erdet mich und macht demütig.“

Neben Birnenmost keltern die beiden auch einen Birnenwein im Eichenfass und lassen von einem befreundeten Winzer einen Birnenschaumwein nach der Méthode Traditionelle produzieren. Damit die Mostbirne glänzen kann, braucht es Bernadette zufolge Pionier:innen mit Mut und frischen Ideen, nur um hinzuzufügen: „Wir sollten das sein.“

Pläne für die Zukunft? Oh ja, die gibt es. Da wäre jenes historische Gewölbe, das gerade zu einem Veranstaltungs- und Verkostungsraum mit mobiler Einrichtung ausgebaut wird. Auch fällt der Begriff „Mostschweine statt Mastschweine“: „Ein Bauernhof mit freilaufenden Tieren, das wäre was, und wenn Leute wieder vom Aussterben bedrohte Mostbirnenbäume setzen und uns deren Früchte zum Weiterverarbeiten bringen würden.“ Und schließlich träumt sie davon, ihre Diva in New York auftreten zu lassen.

Die Mostbirne, sie macht es einem nicht leicht. Wer erst mal Zugang zu ihr gefunden hat, wird dafür mit einem unverkennbaren Geschmackserlebnis belohnt. „Definitiv findet ein Umdenken statt, wissen Leute mehr und mehr zu schätzen, was sie daran haben.“ Man könnte auch von Verlieben sprechen.